Zusammenfassung
Erregungszustände unterschiedlichen Schweregrads finden sich bei 15–25 % aller psychisch
auffälligen Patienten im Notarztdienst. Hinzu kommen Einsätze als Folge von Gewalt.
Aggression gegen Rettungskräfte ist jedoch selten. Der vorliegende Beitrag beschreibt
die Ursachen von Aggression, benennt Phasen von Erregungszuständen und gewalttätigem
Verhalten und stellt stadienabhängige Maßnahmen zur Deeskalation und zum Krisenmanagement
dar. Erforderlich ist ein entschlossenes und ruhiges, situationsangemessenes aber
auch rasches und koordiniertes Handeln unter Einschluss einer Pharmakotherapie.
Abstract:
A state of agitation occurs in 15–25 % of all patients with mental disorder who are
seen by pre–hospital emergency physicians (EPs) in the German emergency medical system.
Additionally, there is an unknown number of calls due to injury subsequent to violence.
Aggression against EPs and paramedics, however, is rare. This paper gives an overview
on the models for the onset of aggression, the single stages of agitation and violence,
and the stage–dependent steps for de–escalation and crisis intervention in the emergency
situation. Action has to be determined but unexcited and, depending on the situation,
swift but well coordinated, including psychopharmacotherapy.
Schlüsselwörter:
Erregung - Aggression - Deeskalation - Krisenintervention - Pharmakotherapie
Keywords:
Agitation - Agression - Violence - De–escalation - Crisis intervention - Rapid tranquilisation
Kernaussagen
-
Aggression ist bei psychiatrischen Patienten häufig zu finden, echte Gewalttätigkeit
gegen Notarzt– oder Rettungsdienstfachpersonal ist jedoch selten.
-
Im Einsatz ist auch mit Aggression durch Angehörige zu rechnen und auf im Vorfeld
stattgefundene Gewalttätigkeit zu achten.
-
Insbesondere bei der Kombination von Substanzmittelabusus oder akuter Intoxikation
mit einer weiteren psychiatrischen Erkrankung ist von einem erhöhten Maß an Gewaltbereitschaft
auszugehen.
-
Aggression und Gewalttätigkeit haben sehr verschiedene Ursachen. Wenn ein Gespräch
möglich ist, sollte danach gesucht werden. Dies gelingt am besten, wenn versucht wird,
die Perspektive des Patienten einzunehmen. Das Anbieten einer Lösung für ein aggressionsauslösendes
Problem kann den Patienten wirksam beruhigen.
-
Unmittelbar nach Eintreffen am Einsatzort muss beurteilt werden, ob vom Patienten
oder dessen sozialem Umfeld eine Gefährdung ausgeht bzw. wie hoch diese ist.
-
Erregung und Aggression durchlaufen Stadien. Es hilft, den Ablauf eines Erregungszustands
zu kennen, um Interventionsmöglichkeiten besser und effektiver einzusetzen.
-
Es empfiehlt sich meist, das diagnostische Gespräch in einer „reizabgeschirmten” Umgebung
durchzuführen z.B. in einem separaten Raum ohne Durchgangsverkehr.
-
Sicherheit geht vor – auch die eigene! Deshalb aggressiven Patienten nie allein gegenüber
treten, zunächst einen ausreichenden Abstand einhalten, alle Gegenstände entfernen,
die sich als Waffe eignen, einen Fluchtweg offen lassen und frühzeitig Ordnungskräfte
hinzuziehen.
-
Sollten Deeskalation und Krisenintervention nicht erfolgreich sein, ist ein entschlossenes
und koordiniertes Vorgehen erforderlich.
-
Häufig kann erst durch eine geeignete psychopharmakologische Intervention („Rapid
Tranquilisation”) eine Beruhigung des Patienten erreicht werden.
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Prof. Dr. med. Frank G. B. Pajonk
Dipl. Psych./Psych. Psychotherapeut Roberto D'Amelio
Email: pajonk@klinik-dr-fontheim.de
Email: Roberto.D.Amelio@uks.eu